Wohin gehen wir? — Wie gehen wir in eine neue Zukunft nach der Pandemie?

„Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen“, soll Martin Luther einst gesagt haben. 

Wahrscheinlich wurde dieser Spruch dem Reformator später in einer schwierigen Zeit, zwischen Verzweiflung und Hoffnung in den Mund gelegt. Aber das Wort passt auch für uns heute. Was für einen Baum pflanzen wir heute, damit er in der Zeit nach der Pandemie Früchte hervorbringen kann?

 

Viele Länder wollen aus der Notlage und den Restriktionen der Pandemie zurück in die «Normalität» finden. Das soll Schritt um Schritt geschehen, sobald es gelingt, die Ansteckungen durch das Virus zu stabilisieren und zu kontrollieren. 

Jedoch sind damit die Sorgen und Ängste nicht überwunden. Die Angst vor einer zweiten grossen Ansteckungswelle bewirkt eine sehr langsame Öffnung. Vielen geht es zu langsam, weil die Wirtschaft sehr unter den Restriktionen leidet. Werden wir die Weisheit haben, einen gangbaren Weg in die Zukunft zu finden?

 

Als Kirche leiden wir unter den Restriktionen wegen des Versammlungsverbots. Ich finde es jedoch erstaunlich, mit wieviel Mut und Kreativität unsere Pastoren und Pastorinnen und auch Laienpersonen dennoch die Menschen mit der guten Botschaft erreichen. Wo in den Häusern kein Internet zur Verfügung steht, werden die Predigten in gedruckter Form ins Haus gebracht. Auch das fürsorgliche Nacheinander Fragen am Telefon ist eine grosse Hilfe für alle, welche zu Hause eingeschlossen sind. Mit Liebe, Mut und Fantasie stellen wir uns der Krise entgegen.

Und wir blicken alle hoffnungsvoll auf die Zeit nach der Pandemie. 

 

Aber wohin gehen wir wirklich? Was bedeutet die sogenannte Rückkehr zur Normalität? Mich beschäftigt diese Frage. Was wird nach der Pandemie anders sein?

Liegt in dieser Krise auch eine Chance, dass wir in der Gesellschaft neue Wege gehen werden? Neue Wege, welche aus dem egoistischen Wettlauf nach Glück und Reichtum zu einem neuen Miteinander Teilen und Aufeinander Achten führen? 

Was können wir als Kirche lernen? Ist nicht die Verbreitung der Botschaft auf neuen Wegen — zum Beispiel über das Internet— eine neue Möglichkeit auch Menschen ausserhalb der Gemeinden zu erreichen? Wie kann das weitergehen?

Ich hoffe, dass wir nicht zu schnell wieder in den normalen Verlauf unseres kirchlichen Lebens zurückkehren werden, sondern uns echt fragen, was in der Zeit nach der Pandemie unser Auftrag ist.

 

Durch die Pandemie sind auch einige Fragen in Kirche und Gesellschaft in den Hintergrund geraten: Armut, Arbeitslosigkeit, Populismus, Fremdenfeindlichkeit, Migration ... Wo werden wir da die Prioritäten setzen?

Jeder und jede soll sich selber fragen: «Was will ich nach der Corona Krise für mich persönlich, für die Gemeinde und für mein Dorf, für meine Stadt positiv verändern und neu wagen?»

 

Ich bete für uns, dass wir als Einzelne und als Kirche nicht einfach zum «courant normal» übergehen werden. Vielleicht sind wir noch etwas ratlos, aber der auferstandene Christus ist uns schon in die neue Zeit voraus gegangen. Ihn dürfen wir um Hilfe bitten, damit wir mit Weisheit, mit Liebe und mit Kraft in die Zeit nach der Pandemie gehen.

Ich bin zuversichtlich, dass unser Weg in der Nachfolge Jesu uns bereit macht für die neue Zeit. Jesus gibt uns durch den heiligen Geist Kraft zum Dienst, die Liebe zu allen Menschen und auch die Besonnenheit gemeinsam dran zu bleiben.

Ja, weil wir wissen, dass morgen die Welt nicht untergeht, werden wir noch heute «das Apfelbäumchen pflanzen» — wie unsere Geschwister im Glauben es schon in anderen Krisenzeiten getan haben.

 

Heinrich Bolleter, Bischof im Ruhestand

Geschrieben für die Slovakische Zeitschrift der EMK in Serbien