Ein Todesurteil in der Schweiz?

„Lucies Mörder wird lebenslang verwahrt.“ So stand es am 19, Oktober 2012 in den Zeitungen.

Seit bekannt werden dieses Morddeliktes und der Vorgeschichte des Mörders ist die Öffentlichkeit empört und ruft nach Vergeltung. Diese Reaktion ist verständlich. Ich teile die Gefühle der Abscheu, der Angst und der Ohnmacht. Die moralische Verwerflichkeit dieser Tat sowie die abgründige und als nicht therapierbar beurteilte Persönlichkeit des Täters rufen nicht nur nach einer lebenslänglichen Strafe, sondern auch nach einer lebenslänglichen Verwahrung. Diese Form der lebenslänglichen Verwahrung gibt es seit dem die Verwahrungsinitiative vom Volk angenommen wurde. Daniel H. ist der erste Fall, über dem nun vom Obergericht dieses Urteil ausgesprochen wurde. Das kommt einer psychischen und sozialen Todesstrafe gleich, ohne physische Vernichtung des Täters.

Die Schweiz hatte 1937 im Strafgesetzbuch auf die Todesstrafe verzichtet. Aber dieser neu verordnete „zivile Tod“ widerspricht genauso dem Gebot der Menschenwürde. Sollte das Urteil Signalwirkung für die Rechtssprechung in der Schweiz haben, so muss über diesen „zivilen Tod“ noch vertieft nachgedacht werden.

Nach dem Gesetz ist jemand lebenslänglich zu verwahren, wenn er „dauerhaft“ nicht therapierbar ist. Dieser Begriff soll nun noch vom Bundesgericht näher definiert werden. Das Obergericht befand, dass eine Nicht –Therapierbarkeit für die nächsten 15 bis 20 Jahre vorauszusagen sei.

Meine Gedanken zu diesem ersten Urteil seit der Verwahrungsinitiative sind nicht nur bewegt von der Tatsache, dass es nicht klar ist, ob die lebenslängliche Verwahrung der Europäischen Menschenrechtskonvention entspricht. Mein christliches Lebensethos sagt mir, dass ein Mensch sich nur entfalten oder weiterentwickeln kann, wenn ihm auch die Würde als Mensch und als Geschöpf zugesprochen wird. Wenn ich einem Menschen auch das letzte Quäntchen dieser Würde raube, nehme ich ihm auch die Chance einer Veränderung zum Guten.

Ich verleugne nicht, dass wir als soziale Gemeinschaft präventiv Handeln und eine Wiederholung solcher ungeheuerlichen Taten verhindern und die nötigen Sicherheitsschranken errichten müssen, aber das Urteil einer dauerhaften oder „lebenslangen“ Nicht-Therapierbarkeit kommt einer Kapitulation des Rechtsstaates im Blick auf den verfassungsmäßigen Schutz der Menschenwürde gleich. Die christliche Botschaft lädt uns ein, einen Menschen nicht auf zu geben, auch wenn wir ans Ende unserer Möglichkeiten gekommen sind. Einem Versager einen Neuanfang ab zu sprechen raubt ihm die Menschenwürde und macht ihn zum Tier.

Wer „lebenslang verwahrt“, will endlich zur Tagesordnung übergehen. Wer sich für die Menschenwürde einsetzt, kann nicht zur Tagesordnung übergehen. Das können auch jene nicht, welche den so tief Gefallenen im Strafvollzug begleiten müssen.

hb

 

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